@Guang 8. November 2011 um 20:00
Letzter Punkt dazu. Ich will das chinesische System nicht verteufeln. Es ist in einigen Punkten anders als das unserige System. Letztendlich kann ich aber weder im chinesischen System noch in dem unserigen System irgendwelche Merkmale ausmachen, die das eine System über das andere stellten. Auf meiner Bewertungsskala schneiden beide Systeme sehr schlecht ab.
Wenn man das chinesische System mit dem westlich-kapitalistischen vergleicht, dann ist es immer eine Frage der Perspektive und des Bewertungsmaßstabes.
Für mich hat sich nie die Frage gestellt, in China zu leben oder gar nach China auszuwandern. China ist eine andere, eine autoritäre und hierarchische Kultur, und für mich hat individuelle Freiheit einen hohen Stellenwert.
Daher kommt für mich auch nur ein freiheitlicher Sozialismus in Frage, ein Sozialismus, der die liberale Tradition der bürgerlichen Revolution weiterentwickelt. Insofern sah ich den Maoismus als Ausdruck historischer Rückständigkeit an, so wie auch das jetzige China von nachholender Industrialisierung gekennzeichnet ist.
Wenn man aus historischer Perspektive den westlichen Kapitalismus und den „chinesischen Kapitalismus“ betrachtet, so sehen wir in China einen „Frühkapitalismus“ und im Westen einen „Spätkapitalismus“.
Der große historische Vorteil Chinas ist, dass es sieht, wohin der kapitalistische Weg führt, nämlich in die kulturelle Selbstzerstörung der westlichen Gesellschaften.
Im Westen hingegen ist der Kapitalismus nicht mehr zu zähmen, der Selbstzerstörungsprozess schreitet unaufhaltsam voran. Es ist Wahnsinn mit Methode.
Kapitalismus ist nicht nur ein Wirtschaftssystem, das ist ein Vergesellschaftungsmodus, also auch eine „Philosophie“ und eine Kultur, die das Fühlen, Denken und Handeln der Menschen bestimmt. Heraus kommt ein kapitalistischer Mensch, ein entfremdetes, verdinglichtes, vom Geld- und Waren-Fetischismus beherrschtes Wesen.
Ein egoistischer und egozentrischer Mensch, der weder willens noch in der Lage ist, sich im Sinne eines gelingenden Ganzen zu verhalten. Diese Egozentriker erleben sich nicht mehr als Teil von menschlicher Gemeinschaft, im Gegenteil, Gesellschaft, das sind die anderen, die Konkurrenten, die Feinde – jene, die man niederkonkurrieren muss, bekämpfen muss …
Diese spätkapitalistischen Menschen sind in ihrem System gefangen, weil ihr Gehirn entsprechend programmiert ist und sie auch nicht mehr psychisch in einen moralischen Konflikt mit dem System geraten.
Das System ist ihnen zur „Zweiten Natur“ geworden. Und wenn es ihnen emotional nicht gut geht, dann nehmen die Menschen Psycho-Drogen, Alkohol und Medikamente.
In der weltweiten 68-er-Bewegung gab es letztmalig Protest und Opposition gegen die „Kultur des Kapitalismus“. Diese „68-er“ – zu denen ich gehöre – erlebten das kapitalistische System als gegen ihre menschliche Natur als Gemeinschaftswesen gerichtet, sie wollte eine Welt mit „love and peace“.
Aber diese Bewegung wurde gebrochen und ist untergegangen. Der Großteil der 68-er-Aktivisten wurde zu jenen Menschen, gegen die sie vorher kämpften und die sie nie sein wollten.
Die Erfahrungen aus dieser Zeit und der Zeit danach zeigten, dass der kapitalistische Westen ist unfähig geworden ist, sich von innen heraus zu revolutionieren, er befindet sich in einem auto-destruktiven Prozess. Da gibt es eine Kontinuität vom 11.9.1973 über den 11.9.2001 bis heute.
Gäbe es nur den kapitalistischen Westen, so hätte die Menschheit keine Zukunft mehr, sie würde sich selbst zerstören.
Der kapitalistische Westen hat die Alternative zwischen Sozialismus oder Barbarei nicht mehr. Der ist in der Barbarei gelandet und kommt aus eigener Kraft dort nicht mehr heraus.
China hingegen – so meine Annahme – besitzt noch Alternative, einen Weg zum Sozialismus einzuschlagen.
Beste Grüße!